Von Volkswagen lernen

Mittwoch, 25.11.2015
Autor: prgateway

Ein Erklärungsversuch

Von Volkswagen lernen

Kein Tag vergeht, ohne dass eine neue Hiobsbotschaft über den Volkswagenkonzern hereinbricht – Hausdurchsuchungen, Sammelklagen, Rückrufaktionen, Erstattung der Abwrackprämien, Forderungen des Kraftfahrt-Bundesamtes, Klagen auf Rückabwicklung von Kaufverträgen… Aus dem deutschen Vorzeigeunternehmen ist über Nacht ein Sanierungsfall geworden. Die Milliarden-Beträge, die zur Behebung des Schadens aufgewendet werden müssen, wachsen täglich. Der Super-GAU wird noch Jahre nachklingen.

Was die Republik bewegt: Wie konnte es dazu kommen? Wenn menschliches Versagen und Fehlverhalten nie auszuschließen sind? Wie kann dann aber ein so hohes Risiko so lange unerkannt bleiben? Das Interessante am Fall Volkswagen: Nicht allein die Ingenieure haben versagt, sondern auch die Kommunikatoren. Der Niedergang des Konzerns ist das Ergebnis einer Verkettung von schleichenden Fehlentwicklungen: Der Konzern versinkt in dem kommunikativen Bermuda-Dreieck von nicht gelebter Corporate Governance, einer Internen Kommunikation, die ganz offensichtlich nicht funktioniert und einem CEO Positioning, das auf Distanz anstelle von Nähe und Partizipation setzt. Jede dieser Fehlentwicklungen für sich produziert bereits schwere Schäden – aber diese sind meist nicht auffällig. Sie sind die akzeptierten Kollateralschäden eines vermeintlich erfolgreichen Managements – solange die Zahlen stimmen. Wenn alle drei zusammen allerdings unprofessionell gehandhabt werden, so ergeben sie die explosive Mischung, die in Wolfsburg zum Super-Knall führte.

Corporate Governance definiert die Kultur eines Unternehmens, sie ist die Verfassung, die die Grundlagen und Regeln des unternehmerischen Handelns definiert. Im VW-O-Ton: „Wir stehen für ein achtbares, ehrliches und regelkonformes Verhalten im Geschäftsalltag…Durch geeignete präventive Maßnahmen und deren Integration in das vorhandene Managementsystem stellen wir die Regeleinhaltung in unserer Organisation sicher und schärfen das Bewusstsein unserer Mitarbeiter.“ BWL-Studenten lernen aus Lehrbüchern, was das konkret bedeutet: zum Beispiel „gesteigerte Transparenz durch umfassende Kommunikation“ oder „konsequente Behandlung von Interessenskonflikten“.

„Umgang mit potenziellen Risiken hat
in unserer täglichen Arbeit einen hohen Stellenwert“

Soweit die graue Theorie. Volkswagen wird konkret: „Der sorgsame Umgang mit potenziellen Risiken für das Unternehmen hat in unserer täglichen Arbeit einen hohen Stellenwert. Wir haben deshalb ein Risikomanagement-System installiert, das uns dabei hilft, Risiken zu identifizieren und bestehende Risikopositionen zu optimieren. Dieses System passen wir fortlaufend an die sich ändernden Rahmenbedingungen an.“ Heute sind wir klüger. Dieses System kann so nie funktioniert haben, es war offensichtlich ein Papiertiger. Unterstellt man den Verfassern dieser Zeilen keinen Zynismus, sondern eine seriöse Absicht, bleibt die Frage, warum und wie dieses „System“ übergangen oder unterwandert werden konnte. Womit wir bei dem Thema der Internen Kommunikation wären.

Sie ist bei Großkonzernen, zumal wenn diese international agieren, ein wesentlicher Wertschöpfungsfaktor. Im Tagesgeschäft sorgt sie dafür, dass die relevanten Informationen just in time auf den richtigen Schreibtischen landen. In Zeiten digitaler Kommunikation ein Thema, das eher technisch als strategisch verstanden und behandelt wird. Verlässt man aber die operative Basis, wird die interne Kommunikation zum wichtigen Identifikations- und Motivationsfaktor. Wie schlecht sie hierzulande offensichtlich funktioniert, belegen jährlich die Gallup- Studien, nach denen um die 60 Prozent der Beschäftigten nur eine geringe Bindung an ihr Unternehmen haben und rund 20 Prozent sogar im Zustand der „inneren Kündigung“ arbeiten. Der volkswirtschaftliche Schaden liegt laut Studie zwischen 98 und 118 Milliarden Euro jährlich. Volkswagen wird dazu beitragen, dass dieser Betrag deutlich nach oben korrigiert werden muss.

Eine wesentliche Ursache für solche Massenresignation: In den meisten Unternehmen, speziell in Konzernen, ist die interne Kommunikation kaskadisch aufgebaut. Das heißt, die Botschaften wandern von der Vorstandsetage durch alle Abteilungen bis ans Fließband – mit entsprechenden Substanzverlusten. Die Stille-Post-Effekte sind dafür nur zum Teil verantwortlich. Das Zurückhalten von Informationsteilen zur Absicherung des eigenen Wissensvorsprungs und damit der persönlichen Macht, trägt ebenso dazu bei. Wichtige Feedbackschleifen sind oft nicht eingebaut. Je hierarchischer ein Unternehmen, umso schwieriger wird es, bottom-up statt top-down zu kommunizieren.

Interne Kommunikation als Propaganda

Diese strukturellen Mängel potenzieren sich zu erstzunehmenden Problemen, wenn die interne Kommunikation zur Propaganda wird. Der Themenmix von Mitarbeiterzeitungen ist ein Indiz für diese These. Das Wolfsburger „autogramm“ begrüßt seine Leser mit dem Slogan „Gemeinsam sind wir stark“, nimmt seine Leser mit auf die Auftritte und Events der Vorstände, die Story „Viele Mitarbeiter zeigen Flagge und setzen sich für das Unternehmen ein“ zeigt, wie gut die Verfassung an der Basis ist und zwei Volkswagen Ruheständler, die ehrenamtlich in einem Flüchtlingswohnheim arbeiten, runden die Wohlfühl-Propaganda mit Human-Touch ab. Für die Aufarbeitung der unschönen Themen ist offensichtlich die IG Metall verantwortlich. So werden Störungen vor das Werkstor verlegt.

Wer sich in einem solchen Umfeld kritisch zu Wort meldet, der stört. An der Fern-Uni Hagen hat sich jetzt eine Doktorandin mit dem Thema „Der ideale Mitarbeiter“ beschäftigt. Ihr Fazit: Der ideale Mitarbeiter ist verlässlich, produktiv, loyal, begeistert und fleißig. Was nur bedeutet: Er ist pflegeleicht und angepasst. Mitarbeiter, die nicht beeinflussbar und entsprechend selbstbewusst sind, vom Mainstream abweichen, sind dagegen unerwünscht, weil nicht pflegeleicht. Wenn interne Kommunikation zum Propagandainstrument wird, werkelt sie am Idealtypus des Mitarbeiters. Dabei werden die Ja-Sager im Unternehmen inzwischen zu einem echten Problem: Sie verhindern Innovationen und vertuschen Missstände, um ihren Arbeitsplatz oder ihre Karriere nicht zu gefährden. Die FAZ wusste bereits kurz nach der Katastrophe, wie es um die interne Befindlichkeit bei Volkswagen steht: „Die unbequemen Fragen werden nicht gestellt… Mitarbeiter, die Fehler auch nur melden, werden im Zweifel eher dafür bestraft als belohnt.“

Wie soll man gegen Allwissenheit anargumentieren?

Wie in einem System „kommunizierender Röhren“ sind die beiden Arbeitsfelder Corporate Governance und interne Kommunikation mit der dem CEO-Positioning verbunden. Die spezielle Art der Personality-PR wurde in den letzten Wochen von Kommentatoren immer wieder mit dem Begriff „Machiavellismus“ in Verbindung gebracht. Ein Machterhalt ohne Skrupel – der in alle Richtungen arbeitet. Wenn Vorstände zu Lichtgestalten stilisiert werden, glänzen sie nicht nur in der Riege der internationalen Vorstandskollegen und Shareholdern, sie verbreiten nach innen auch Angst und manchmal sogar Schrecken. Piech war intern vor allem gefürchtet, Winterkorn war ein guter Schüler seines Ziehvaters. Die jährlichen Inszenierungen auf der IAA, bei denen die Vorstände vor laufender Kamera demonstrieren, dass sie sich um jede Zierleiste und jede Muffe eines neuen Modells kümmern, haben nach innen verheerende Wirkung: Wie soll man gegen solche Allwissenheit anargumentieren? Piechs Führungsstil beschreibt ein Mitarbeiter mit einem Mao-Zitat: „Bestrafe einen, erziehe 100!“

Die Mischung macht“s: Wenn das Fremd- und Selbstbild der Vorstände nicht mehr zur Deckung zu bringen sind, wenn die interne Kommunikation gelähmt ist und es ihr darum nicht gelingt, partizipativ zu wirken, dann verkommt Unternehmenskultur zur inhaltsleeren Floskel und es ist Gefahr im Verzug. In der Kombination und den negativen Synergieeffekten liegt die Sprengkraft.

Diese Einsicht ist durchaus neu. Denn aus der Distanz betrachtet fällt auf, dass alle drei hier beschriebenen Arbeitsbereiche eher zu den weichen Faktoren der strategischen Kommunikation zählen. Im Klartext: Sie haben nur zweite Priorität. Im zahlengetriebenen Management gehören sie eher in die Rubrik der Management-Moden – und sind damit zu vernachlässigen. Kommunikativ führen all die Bereiche die Rankingliste an, die vermeintlich umsatz- und renditerelevant sind – wie zum Beispiel Investor Relations oder Produkt-Kommunikation. Dass Volkswagen nun genau über diese „weichen“ Themen zu Fall kommt, sollte nachdenklich machen. Die harte Hand der Sanierer und Lenker greift nicht mehr. Neue Werte sind offensichtlich überfällig. Insofern besteht eine neue Option: „Von Volkswagen lernen, heißt siegen lernen.“

Hans Scheurer

Hans Scheurer ist Professor für Kommunikationsmanagement an der MHMK in Köln, er arbeitet als Kommunikationsberater ( www.ssp-kommunikation.de (http://www.ssp-kommunikation.de))

Seit über 30 Jahren betreut SSP Kommuniukation Wirtschaftsunternehmen, Verbände und Ministerien in Kommunikationsfragen. Schwerpunkt der Arbeit liegt auf der strategischen Kommunikation. Flache Hierarchien und ein gelebtes Qualitätsmanagement sichern eine reibungslose Umsetzung und die Erreichung evaluierbarer Ziele.

Kontakt
SSP Kommunikation GmbH
Prof. Dr. Hans Scheurer
Maarweg 137
50825 Köln
0221 888 244 0
agentur@ssp-kommunikation.de

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